Franz Schuh

Auslotung des Menschenmöglichen - Eine Schreibwerkstatt als Lesekurs

Fr, 5. bis So, 7. Oktober 2018

(Lesewerkstatt im Rahmen der Feier zum fünfzehnjährigen Jubiläum der schreibwerkstatt waldviertel)

In der Geschichte des Schreibens gibt es eine Phase, in der die schriftliche Nachahmung von Texten, vor allem antiker Texte, eine entscheidende Übung war. Die Nachahmung wurde nicht im Gegensatz zur Originalität verstanden. Man kann sich den Grund dafür vorstellen: Die Einfühlung in Texte, die als gelungen anerkannt sind, ist eine Art „Training“, durch das man aus der am größten möglichen Nähe gelungenes Schreiben erfahren kann.

Heute, in Zeiten unerbittlicher Originalität, wird man nicht Nachahmen, sondern genau nach-lesen. Für diese Schreibwerkstätte habe ich zur Lektüre, die gemeinsam besprochen und analysiert werden soll, vier bedeutende Texte ausgewählt: Erstens Fjodor Dostojewskis „Der Idiot.“

Neben vielen anderen Themen liest man in diesem Roman des 19. Jahrhunderts eine Thematisierung der moralischen Frage, ob man denn, will man ein guter Mensch sein, ein Idiot sein muss. Aber für Schreibende scheint es auch lehrreich zu sein, dass Dostojewski mit dem „Idioten“ einen Roman geschrieben hat, in dem es drunter und drüber geht, in dem es zugeht, wie sonst nur im Trivialroman.

Das zweite Buch, von dem man vieles lernen kann, ist „Der Radetzkymarsch von Joseph Roth. Roth hat das Erzählen perfektioniert, er schreibt nichts, was aus dem Rahmen der Erzählkunst fällt. Zugleich aber hat sein Roman eine geschichtsphilosophische Basis – er ist eine „Retrotopia“, das heißt: im „Radetzkymarsch“ sind die utopischen Kräfte der Menschen in die Vergangenheit verlegt. Kapitel VIII beginnt mit dem Satz: „Damals, vor dem großen Kriege ... war es noch nicht gleichgültig, ob ein Mensch lebte oder starb.“

Das ist ein Motiv, das bei Karl Kraus für sein Drama „Die Letzten Tage der Menschheit“ titelgebend war. In der Tradition von Kraus, zumindest was das Polemische betrifft, steht ein Text von Oswald Wiener aus den Sechziger Jahren: „DIE VERBESSERUNG VON MITTELEUROPA, ROMAN.“ Es ist ein Text der sogenannten „Avantgarde“, inspiriert nicht zuletzt von Wittgensteins Sprachphilosophie. Der Text ist anarchistisch, spöttisch und er hat von der Machart gar nichts mit traditionellem Erzählen zu tun. Warum das so ist, könnte eine Lehre darüber sein, welche Art von Sinnstiftung Erzählen überhaupt ist und wie eine Literatur klingt, die den erzählerischen Traditionalismus verhöhnt.

Als letztes Buch ein traditionell erzählter Roman, Arno Geigers Meisterwerk aus unseren Tagen: „Unter der Drachenwand.“ Auch hier wieder eine Geschichte, die ein Autor erzählt, und im Zusammenspiel damit Historie, Geschichte als Schicksal eines Kollektivs. Die alten Romanmotive Krieg und Frieden (und die friedlichen Spots im Krieg) hat Geiger miteinander – sehr lehrreich für andere Schriftsteller - verknüpft.

Die zitierten Werke loten das Menschenmögliche aus und zugleich auch das, was die Literatur zu dessen Erhellung beitragen kann. Die Vorgangsweise in der Schreibwerkstatt: Gemeinsame genaue Lektüre ausgewählter Stellen und Diskussion der Texte im Ganzen.

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